Marlene Nix „Farbe“

„Die Farbe als geistige Dimension, die in Entsprechung gebrachte werden kann und will zu Erfahrungen, die sich sprachlicher wie gegenständlicher Darstellung verweigern.“    Marlene Nix

Zur Vernissage der Ausstellung am 30. November 2014
im Kunstverein Schallstadt

Liebe Gäste, liebe Freundinnen und Freunde im Kunstverein!

Wahrscheinlich haben Sie sich gefragt: Marlene Nix – wer ist das?
Nun haben Sie hier erste Eindrücke der Farbwelt dieser Künstlerin gesammelt und Sie fragen vielleicht unter neuen Gesichtspunkten: Wer ist das? Deshalb zunächst einen kurzen, biografischen „Steckbrief“ bevor ich eingehen auf das, was mir wesentlich ist angesichts der Bilder.

Marlene Nix wurde 1942 im Köln geboren und wuchs in der zerstörten Stadt auf, wie sie selbst bezeichnender Weise immer betonte. Ihre künstlerische Ausbildung erhielt sie an der Kölner Hochschule für Kunst. Dort begann die uns wichtige und wertvolle Freundschaft zwischen Marlene Nix, mir und meinem Mann.
Die öffentlichen, künstlerischen Aktivitäten von M.N. fanden im Köln/Bonner Raum statt und in ihrem letzten Atelier in Remagen/Oberwinter. Im Februar des letzten Jahres starb sie schwer krank. Da sie ohne näher stehende Familienmitglieder war, hat sie mich als Nachlassverwalterin eingesetzt.

Unsere Freundin studierte nach handwerklichen Lehren als Werkstudentin an der Kölner Hochschule für Kunst, damals Kölner Werkschulen genannt.
In einer autobiografischen Notiz schreibt sie: „Die Studienzeit an den Kölner Werkschulen in den 60er Jahren fiel in eine Phase der Nachkriegsbesinnung, bevor die neuen Tendenzen aus Amerika die verträumte Insel erreichten.“ Hier klingt an, welche künstlerischen Zeitströmungen am Werk von der jungen M.N. mitwirkten, vorwiegend die Tendenzen des Abstrakten Expressionismus und des Informel.
Diese kamen allerdings zu – einem biografisch gesehen – wesentlich späteren Zeitpunkt in ihrem Werk zum Tragen. Während und unmittelbar nach dem Studium waren die Arbeiten gegenständlich, figurativ gefasst, vielfach von ihr als Radierungen in handwerklicher Perfektion und in reich variierten Farben gedruckt.
Den beruflichen Weg als Künstlerin weiter zu gehen war ihr nur bedingt möglich. Der Umgang mit Kunst und Gestaltung blieb für viele Jahre überwiegend beschränkt auf eine Lehrtätigkeit bei jungen Erwachsenen.

Diese Jahre ermöglichten ihr jedoch, während einer Vielzahl von Reisen dem Fremden ungefiltert zu begegnen – in Europa, Afrika, Südamerika, Indien, Tibet und Japan. Fast immer allein reisend, weit ab von touristischen Bahnen, gelassen risikobereit, brenzliche Situationen konnte sie meist intuitiv entschärfen.
Dazu, was M.N. selbst schreibt: „Es ging um das Sehen der Schönheit der Erde, um das Erleben des Reichtums an Formen der Natur, wie der menschlichen Lebensweisen. Es ging um die Erfahrung anderer kultureller Entwicklungen, Denk- und Vorstellungsweisen und nicht zuletzt um die kritische Auseinandersetzung mit Ist-Zuständen der Zivilisation zuhause und andernorts.“

Jeder, der M.N. nahe kam, erfuhr ihre Beeindruckbarkeit und ihre sensibelste Wahrnehmungsfähigkeit.  Diese Sensoren waren es, die den – nicht nur auf Reisen gewonnenen – Reichtum an Formen, Farben und inneren Bildern mächtig werden ließen, aus dem die Arbeit dieser Künstlerin lebt.
Parallel zu den visuellen Erfahrungen stellten sich ihr beim Unterwegssein Fragen zur kulturellen Weltsicht, zu den philosophischen und religiösen Hintergründen dessen, was sie sah. Begegnungen in Indien und mit dem ZEN -Buddhismus Japans förderten den Beginn eines inneren Weges, bei dem es um die Transzendierung der Phänomene ging, um das Wahrnehmen dessen, was hinter der sichtbaren Welt sein könnte.

Ich gehe davon aus, dass die Farben dieser Bilder, – ihre Tiefe, ihr Vibrieren, ihre Transparenz, die Schichten von unendlich vielen farbigen Strichen – ahnen lassen, das sie mehr sind als schöne Farbigkeit. Ich möchte diese Wahrnehmung erweitern durch einen Blick auf den biografischen Kontext, aus dem heraus die Bilder entstanden sind.

Am Ende der 80er Jahre war M.N. bereichert durch Welterfahrung und erschöpft vom Schuldienst, der ihre persönliche, künstlerische Arbeit behinderte. Schließlich erkrankte sie schwer. Die darauf folgende Frühpensionierung machte einen Neubeginn möglich.
Woraus speist sich ein solcher „Neubeginn“? Welche Motivationen und welche Zeitatmosphäre lassen ein umfangreiches, neues Werk wachsen, wie Sie es jetzt nur im Ausschnitt hier sehen?

Um darauf zu antworten, zunächst ein kleiner Rückblick auf die Kunstbewegungen der 60er Jahre: Da waren Form und Farbe aus der kompositionellen Unterordnung befreit und zum maßgeblichen Ausdrucksträger ernannt worden.
Barnett Newman (1905-70), der amerikanische Künstler und Erfinder der Farbfeldmalerei, wie auch andere jener Jahre, sprachen Farbe eine Qualität zu, die ihre Materialhaftigkeit weit überstieg. Newman sagte: „Das Schauen von Farbe ist ein Weg zu metaphysischem Erleben“.
M.N.`s Disposition entsprach dies. Sie erspürte im künstlerischen Schaffen die geistige Dimension des Transzendierens. Zudem ihre Begegnungen mit den metaphysischen Lehren anderen Kulturen ihr Bewusstsein für eine zusätzliche Dimension der Realität geschärft hatten.

Folgerichtig gab die Künstlerin die Welt des Gegenständlichen in ihren Arbeiten auf, nur die Abstraktion konnte zur Trägerin sonst nicht kommunizierbarer Ideen werden. Das Gestaltungsmittel ihrer Wahl wurde die Farbe, ein Medium, das in der künstlerischen Tradition schon immer als besonders wirkmächtig bekannt ist. M.N. selbst notierte: „Die Farbe als geistige Dimension, die in Entsprechung gebrachte werden kann und will zu Erfahrungen, die sich sprachlicher wie gegenständlicher Darstellung verweigern.“

Der eigene innere Weg sollte verschmelzen mit dem Schaffen einer farbigen, adäquaten Bildwelt, angetrieben vom künstlerischen Bedürfnis, die „Innenschau“ nach außen sichtbar zu machen.
Dieses Balancieren mit Innen und Außen entspricht merkwürdiger Weise dem physiologischen Vorgang des Farbsehens an sich. Alltagssprachlich sagen wir – der Gegenstand hat diese oder jene Farbe. Aber bekanntlich hat er sie nicht, sondern unsere Augen, die Licht-Rezeptoren, geben sie ihm. Der innere, neuronale Vorgang erzeugt also eine bestimmte Qualität da draußen an den Dingen.
Da beginnt sich auf elementarer Ebene Subjekt- und Objekttrennung aufzuheben. Viele Stufen weiterführenden Denkens ermöglichen es, sich als Teil einer übergreifenden Einheit zu betrachten. Goethe drückt es aus in den Verszeilen über Naturbetrachtung: „nichts ist drinnen, nichts ist draußen, denn was innen, das ist außen“.(Epirrhema)

Goethe gliederte sich intuitiv ein in spätere Erkenntnisse der Naturwissenschaft des letzten Jahrhunderts, die die Grenzen des Materiellen unscharf machen. Atom- und Quantenphysik stießen damals wie heute traditionell philosophische Überlegungen an, die in ein verändertes Realitätsverständnis mündeten. In manchen Aspekten entspricht es Vorstellungen der Antike und des ZEN.
Ein Beispiel solcher Gemeinsamkeit ist: Das Gegensätzliche lässt sich komplementär als Einheit denken. Also auch das Innen und Außen, Materielles und Immaterielles.  Diese Auffassung agiert im Hintergrund der hier gezeigten Farbarbeiten. Antoni Tàpies  der große spanischen Maler, schildert diese Weltsicht in einem Vortrag, den er 1988 an der Unversität Barcelona hielt:

… „es ist vor allem etwas wieder zu entdecken, was unter verschiedenen Namen bei vielen jener Lehren von fundamentaler Bedeutung ist: das Erleben einer ursprünglichen Einheit, die innere Erfahrung der allumfassenden, authentischen Wirklichkeit. Genau das ist es, was uns solidarisch mit dem Universum und mit allen Menschen macht und unserem Leben Sinn gibt.“

Wer dies als Künstlerin ernst nimmt, möchte, dass die innerer Erfahrung dieser Einheit Bild wird. Sie sieht sich vor der Aufgabe, eine Vorgehensweise für das künstlerisches Tun zu finden, die Erlebnis und Ausdruck dieser umfassenden Wirklichkeit sein kann. Dies meint sowohl den Akt des Zeichnens und Malens selbst, wie dessen sichtbares Ergebnis.
Dementsprechend entwickelte M.N. im Umgang mit Stift, Kreide und Pinsel  eine Arbeitsweise, die Ruhe und Stille schuf, ein Addieren von Strichen und Farbschichten, das in unbegrenzten Zeiträumen sich gelassen ausbreitete. Selbstvergessenheit verband sich mit wachem, aktivem Bei-sich-sein:
Zeichnen als Medium der Meditation.

Diese Eigenart des Arbeitsprozesses, erschließt sich am leichtesten beim genauen Betrachten der Zeichnungen mit Farbstiften und Pastellstiften von M.N.. Federleicht bis bedrohlich dicht verschattet fliegen kurze Stiftspuren über die Flächen, auf die Strichlage auf Strichlage gehäuft wird, bis ein bestimmter Farbklang erreicht ist. Sei er als ungefähres Ziel vorgeschwebt oder funkelnd am Weg gelegen und geschenkt worden. Er ist Ausdruck einer Stimmung oder Erfahrung momentan oder generell.
Die Addition der unendlich vielen und feinen Striche, nahezu besessen über Tage durchgehalten, lässt diesen „Flow“entstehen, in dem Innen und Außen verschmelzen.
Doch da ist noch ein anderer Reiz, der die zeichnende Hand antreibt, eine Art visueller Neugier: Wie sieht es aus, wenn die frischen Strichelemente auf das Gefüge der vorhergehenden treffen? Wie sind sie zu führen, dass sie sich selbst bleiben und gleichzeitig einbinden in das Gewebe aller? Wie vereinen sich Überlagerung und Durchsichtigkeit?
Die Balance der Tonigkeit des Farbstrichgewebes, ihr sanftes Heller- oder Dunklerwerden, verraten, dass der meditative Herstellungsprozess Wachsamkeit gegen Abweichungen und Kontrolle der Harmonie nicht ausschließt. Auch die Dynamik gröberer Strichgefüge gerät nie überschießend, sondern ist gebändigt von Muster des inneren Anspruchs.
Die dichten Strichgewebe wurden von M.N. immer wieder erspielt, indem sie viele Varíationen von Netz- und Rasterbildungen in kleinerem Format mit Graphit- oder Buntstiften zeichnete. Ein Raster ist nicht nur straff geplante Wiederholung von Ähnlichem, sondern kann weitere Funktionen erfüllen. Bei der Entwicklung der Linearperspektive in der Frührenaissance wurde das Raster zu dem Mittel, mit dem sich der Raum auf der Fläche darstellen ließ. Für Kartographen dient das Raster der „Vermessung der Welt“, der Welterfassung. Raster sind geplant und stehen daher für Verstand, während Farbe eher mit Gefühl assoziiert wird. Treffen sich beide in einem farbigen Raster, fallen Grenzen, zudem das Prinzip der Wiederholung den Raum öffnet für Zeitvergessenheit.

In den Farbfeldern, den geschlossenen Farbflächen, ausgeführt mit Pastellkreiden, nimmt die Farbe sich selbst zum Gegenstand. Sie brilliert in intensivem Leuchten, samtener Stofflichkeit und düsterer Tiefe.
Die Einheitlichkeit der jeweiligen Farbfläche erweckt den Eindruck von Einfachheit. Tatsächlich aber ist auch hier jedes Feld aufgebaut aus vielen, übereinander gelegten Schichten. Diese kommen einer leicht oszillierenden Farbwirkung zugute, je nach Lichteinfall changierend. Um die Ausstrahlung der Farbe nicht zu stören, wurde sie gefasst in klare geometrische Formen. Fenster, die nicht nur vom Licht erzählen, sondern auch von der farbigen Dunkelheit, die das Licht im Schatten wachsen lässt.

Licht ist ohnehin geheimnisvoll.
Wir verstehen zwar, dass es das Licht ist, das unsere Nervenzellen zur Farbproduktion herausfordert. Aber ist damit schon alles gesagt?
Licht hat im menschlichen Erleben eine Dimension, die über das physikalisch Fassbare hinausreicht. Licht stimuliert, erwärmt, leuchtet in Erkenntnissen auf, ist von daher schon immer Symbol für Überschreitung des Realen.  Sein Fehlen steht für bodenlose Abgründe und Orientierungslosigkeit.
Die untrennbare Symbiose von Licht- und Farbwahrnehmung, macht Farbe als künstlerisches Mittel zum Vehikel in das Reich des Transzendenten, das von warmer Lebendigkeit sein kann, wie von dunkler Abgründigkeit.  M.N. kannte beides – im erlebten und vorgestellten Sein.  Sie vertraute der heilenden Macht der Bilder, die imstande ist, die verschiedenen Dimensionen des Lebens zu vereinen und damit beizutragen zur universalen Einheit.

Diese Ausstellung begrüßt und verabschiedet ihre Besucher mit zwei großformatigen, grünen Bildern: Acrylfarbe, mit breitem Pinsel aufgetragen, viel, leuchtend, auf  großer Fläche, gemalt zum In-Farbe-versinken.
Vorsicht: Sichtbarkeit ist eine Falle! Auch Farbe ist nicht alles!
Aber Farbe führt aus dem Raum der Malerei in den Raum der Imagination.
Folgen wir ihr, entdecken wir weitere Dimensionen!