Kathrin Deusch „Schwarz auf Weiß“

 

Der künstlerische Prozess ist hier Zeichensetzung der Suche nach  Balance zwischen sich und der Dominanz des WORTS, als Gottes Wort. Er ist ständiges Neuerschaffen von Bedeutungen und Bejahung seiner wechselnden Berechtigungen.

 

Zur Vernissage der Ausstellung am 5. April 2003
im Haus der Kurseelsorge Bad Krozingen

Zu einer Ausstellung geladen zu sein, die sich „Schwarz auf Weiß“ nennt, gibt das beruhigende Gefühl, dass alles mit rechten Dingen zugehen wird und wir Besucher von undurchschaubaren, vieldeutigen Eindrücken verschont bleiben werden.

Diese Erwartung bestätigt sich im ersten Eindruck. Wir sehen kräftige, schwarze Formen auf einem leicht grau strukturierten Hintergrund, rechteckige Schwarzflächen mit dünnen hellen Nahtstellen zwischen sich, Schichtungen von Formen in unterschiedlichen Helligkeitsstufen und sogar etwas Farbe; drei Werkgruppen insgesamt.

1.
Noch in Distanz stehend, fangen zunächst die markanten schwarzen Formen unsere Aufmerksamkeit ein. Es sind zwar zweidimensionale Flächen, aber sie scheinen ein Volumen zu enthalten, dass sie auch als Umrisse oder Schatten von dreidimensionalen Gebilden verstanden werden könnten. Ihr kantiger, monolithischer Charakter hat einen Zug von Fremdheit, eine widersprüchliche Art von „differenzierter Urtümlichkeit“. Frau Deuschs Eindrücke von afrikanischer Plastik auf einer Reise in Kamerun könnten ihre persönliche Formensprache bestätigt haben.
Die schwarzen Formen richten sich auf, sinken, stehen oder schweben meist in vertikaler Richtung. Sie folgen einer inneren Struktur, in der diverse Formteile zur Einheit verbunden werden, in einem Gefüge, das Einzelne in Zusammenhang bringt. Manche der Formen könnten an Balken und Streben von Geräten und Leitern erinnern, wenn sie nicht zugleich jede Gebrauchsmöglichkeit verneinten, – außer der einen: Leitwege für unsere Augen und Assoziationen zu sein.

Mit diesen kraftvollen, kantigen, geschwärzten Flächenformen hat Kathrin Deusch Zeichen gesetzt. Sie setzt sie in anderen Werkgruppen auch als rechteckige Flächen oder bettet sie in variabler und gegenstandsbezogeneren Form in mehrschichtige Untergründe.

Zeichensetzen ist ein Akt, der Präsens schafft, ist Kulmination von Aktivität, die eine Spur prägt. Zeichen sind Lebenszeichen dessen, der sie setzt.

Kathrin Deuschs Lebenszeichen sind unübersehbar, aber über sie sollte das ausgewählte Umfeld – das Papier, auf dem sie arbeitet – nicht vergessen, sondern näher betrachtet werden, um seiner Eigenart auf die Spur zu kommen. Zwar verdecken es die schwarzen Formen teilweise, aber nicht absolut. Aus der Nähe gesehen, zeigt sich die Schwärze nicht kompakt geschlossen, sondern scheint durchlässig zu sein für den hellen Papieruntergrund. Eigenart und Lagerung der hellen Strichschlitze erinnert an eine zarte Holzmaserung und lassen etwas von der technischen Entstehungsgeschichte der dunklen Flächenformen ahnen, die noch erklärt werden wird. Die hellen Strichlein folgen dem lockeren Rhythmus der Holzstruktur, dieser korrespondiert mit einem Rhythmus von kleinen dunklen Strichen, die auf dem Druckpapier zu entdecken sind. Es sind gedruckte Schriftzeichen.
Denn das erwartete schlichte Weiß des Untergrunds trägt Essenzielles in sich. –
Es enthält Schrift, und zwar nicht irgendeine, sondern „Die Schrift“, wie im abendländischen Kulturkreis die Bibel genannt wird.

Doch betrachten wir diese Textflächen der Bibel zunächst nur als eine gestalterische Vorgabe, bestehend aus Grauflächen unterschiedlicher Beschaffenheit, unterschiedlicher Dichte, Helligkeit und Struktur, abhängig von Schrifttype, -breite, -dichte, -größe der verwendeten Buchstaben. Die rundlichen griechischen Schriftzeilen unterscheiden sich von den steileren lateinischen. Die grafische Anordnung der Buchstaben in Flächen und Spalten sowie ihre Negativräume, – Abstände, Absätze und Ränder – gliedern die Textflächen. Wir sind gewöhnt, Texte meist nur zur Entnahme ihres Inhalts, also zu Lesen, wahrzunehmen und ihre Anordnung wenig zu beachten. Eine Textseite ist aber als Layout aus vielen Elementen, Regeln und Traditionen von Grafikern gestaltet und bietet damit einer künstlerischen Bearbeitung ein profiliertes Gegenüber, das entweder ignoriert oder beachtet werden kann. Kathrin Deusch beachtet es, tritt also ein in einen Dialog mit diesen unterschiedlich geformten Grauflächen, in die biblischen Texte eingegossen wurden, handelt nicht gegen sie, aber mit ihnen, passt unter Umständen ihre Zeichen den Vorgaben des betexteten Untergrunds ein.
Das heißt für die Gestaltungsarbeit: Es entsteht ein längerer Entwicklungsprozess, in dem Formen geschnitten und Textpapiere ausgewählt werden. Die Künstlerin bestimmt und formt beide unter Kriterien der “Dialogmöglichkeit“, passt an und schließt aus. Die endlich gefundene Form des Zeichens wird aus dünnem Holzfurnier geschnitten, mit schwarzer Druckfarbe eingewalzt und mit Hilfe einer Presse auf das schon maschinell bedruckte Papier übertragen. Somit erklärt sich die anfangs erwähnte helle Strichstruktur als Abdruck einer Holzmaserung des Furniers.

Das dünne Druckpapier ist nicht eigentlich weiß, sondern hat einen gelblichen Chamois-Ton, zudem ist ihm anzusehen, dass es zerknüllt und wieder geglättet wurde. Gerade letzteres scheint einen nicht sehr respektvollen Umgang mit Seiten des Heiligen Buches zu verraten. Er beginnt aber nicht in den Händen von Frau Deusch, sondern bei den Packern im Verlagshaus der Konfirmandenbibeln, die mit den geknüllten Papieren ihre Bibelsendungen ins Pfarrhaus polstern.
Im Künstleratelier im Pfarrhaus wird der kommerzielle Abfall aus dem Bibelverlag wieder zu dem, was er bei Drucklegung sein sollte: Träger eines geistigen Gegenüber, dessen Worte alles andere als beliebig sind. Dem „WORT“ ist als Wort Gottes, als textuelle Basis des christlichen Glaubens und der abendländischen Tradition eine geradezu überwältigende Wucht zu eigen.

Dieser Dominanz tritt Kathrin Deusch gegenüber; sie beugt sich nicht, sie bekämpft sie nicht, sie sucht eine Balance, zwischen sich und der Herausforderung durch das WORT, – so, wie sie im künstlerischen Prozess den Dialog zwischen ihrer Zeichensetzung und den grafischen Textflächen ausarbeitet. Sein visuelles Ergebnis lässt teilnehmen am Spiel mit Gewichten, die wir als Individualität der Person und Tradition des WORTS kennen.

Zugriff und Eingriff der Künstlerin auf die Ausgangsmaterialien bringen in ihr einen dynamischen Fluss von Assoziationen in Gang, der zu gestalterischen und inhaltlichen Fragen führt, die durch Entscheidungen beantwortet werden.

Der Dialog ist insgesamt ein mehrfacher:
– zwischen den Materialien,
– zwischen Künstlerin und Materialien,
– zwischen dem, wofür die großen, schwarzen Zeichen und die kleinen
des Untergrunds stehen, also
– zwischen Zeichen, als Mitteilung menschlichen Lebens und
solchen, die als Mitteilung göttlichen Lebens verstanden werden,
und schließlich:
– zwischen Künstlerin und Besuchern, Bildwerk und Rezipient.

Zeitgenössische Kunst wird häufig dadurch charakterisiert, dass sie nicht produziere, sondern selektiere. Der Künstler stellt also nicht her, sondern wählt aus und verändert den Kontext des Ausgewählten. Die Arbeiten hier sind sowohl hergestellt in handwerklichem Sinn, wie auch die Selektion der verwendeten Materialien einen neuen ideellen Kontext zustandebringt

2.
Die kleinen Formate, schwebend leicht gehängt, erscheinen verwehbar vergänglich oder unkontrollierbar eindringend – wie Worte eben sein können; selbst dann, wenn sie durch Überlagerung fast hermetisch verschlossen sind. Gewichtige, flächige Verdunklungen verhindern hier die sprachliche Kommunikation. Nur eine Zeile, manchmal nur ein Wort blitzt in den schmalen Zwischenräumen hervor. Das Wechselspiel zwischen offener Lesbarkeit und verschlossenem Text, zwischen Hell und Dunkel verändert seine Proportionen im Vergleich zur ersten Werkgruppe. Das überwiegende Dunkle wird geordnet durch strenge horizontale und vertikale Gliederung. Was die Künstlerin lesbar bleiben läßt in den hellen Spalten, kann notwendige oder zufällige Mitteilung sein, ist für sie selbst wie für den Betrachter eine Aufforderung, über das Lesbare hinaus Zusammenhänge zu bilden.
Dafür ist Unterstützung geboten, indem die schmalen hellen Stege die Form von Leitern bilden, mit deren Hilfe bekanntlich Niveauunterschiede zu überwinden sind, – und diese gibt es auch zwischen verschiedenen Bewußtseinsebenen. Wobei die an sich schon fragilen hellen Leiterfragmente auch noch quergelegt sind, sodass unsere Deutungsbereitschaft sich in verschiedene Richtungen bewegen kann. Die blockhaften, schwarzen Zwischenräume hüten ihr Textgeheimnis und fordern und fördern die Aufgeschlossenheit der Betrachter.

Kathrin Deusch schätzt die im visuellen Akt entstehenden Bedeutungszuordnungen nicht als Fixum, sondern wegen ihres Oszillierens. Sie liebt die lebendige Wechselhaftigkeit von Sinngebung, die Prozesshaftigkeit eines ständigen Neuerschaffens von Bedeutungen und bejaht deren Berechtigung.

Dieser Prozess ist nicht nur als Eigenschaft der Kunstrezeption wünschenswert, sondern auch als Bestandteil unseres eigenen Lebens. Was mit Mensch und Welt geschieht, ist ein Wechselspiel von Geöffnetsein und Verschlüsseltbleiben, von Verstehen und Nichtverstehen. Wir versuchen Schlüssel zu finden oder zu bilden, die uns beim Öffnen helfen und Zugang zum Unverständlichen schaffen. Das ist der Moment, in dem der Ritus beginnen kann. Er ist eine Möglichkeit unter anderen, Sinn zu stiften und er begleitet den Tod, der sich am schwersten erkennen läßt.

3.
Kathrin Deusch blickt von einem ihrer Fenster auf den Friedhof. Tod und Ritual, Worte, die Riten begleiten, die ihrerseits wieder Erläuterungen bedürfen, sind ihr vertraut. So sind auch die erläuternden Passagen, die Bibeltexte begleiten, notwendiges Mittel, rituelles, mythologisches Gedankengut einer fern liegenden kulturellen Tradition dem Bibelleser heute verständlich zu machen. Solche lexikalischen Textfelder bilden hauptsächliche die Unterlage der Werkgruppe, in deren Zentrum in variierter Weise die mehrkantige Sargform steht. Diese scheint die menschliche Gestalt, nicht nur zu beinhalten, sondern repräsentiert sie als aktive Kraft, die sowohl in verschiedener Weise über den Tod hinauswirkt, wie unerkennbaren Wirkungen ausgesetzt ist. Die Vielschichtigkeit der biografischen Phasen, des Übergangs von Leben zu Tod und der gläubigen Jenseitsvorstellungen werden im Medium der Kunst zur Überlagerungen von Bildschichten.

Die Künstlerin verwendet in dieser Bildserie einer geschichteten Kombination  farbiger Druckflächen und Papiere in überwiegend gebrochenen Tönen von Schwarz, Grau bis zu Blau. Manchmal verraten Bleistiftspuren noch andere Bearbeitungsweisen als die des Collagierens und Druckens. Überschneidungen von Farbfeldern und Papieren erzeugen Verdunklungen oder ein Changieren. Die Teilflächen sind jeweils gefasst durch wenige, horizontal oder vertikal gliedernde Richtungsachsen, wobei das horizontal gelagerte Blau meistens die oberen Bildfläche besetzt. Trotz der Vielgestaltigkeit entsteht eine überwiegend ruhige Stimmung.

Angesichts der Arbeiten von Kathrin Deusch stellt sich schließlich die Frage nach Rolle der bevorzugten Farbe Schwarz. Oft wird sie mit dem Tod assoziiert und ist in unserem Kulturkreis die Farbe der Trauer.
Zu Beginn dieser Betrachtung nahmen wir jedoch wahr, dass die kraftvollen, schwarzen Zeichen ein Lebenszeichen der Künstlerin sind, Ausdruck ihrer Präsens. Wo sie selbst auf der Fläche durch Zeichensetzung nicht agiert, gewährt sie einer anderen Kraft den Raum: dem Material, das Schriftträger ist und sich in „Druckerschwärze“ präsentiert.
Die visuelle Oberfläche der Texte kann die Künstlerin grafisch, ästhetisch kalkulieren, aber nicht das, was die komplexen Impulse des Inhalts im Betrachter auslösen. Form und Farbe dieser künstlerischen Arbeiten bieten eine facettenreiche Legierung mit dem Wort der Schrift. Durch sie wird ein weiterer, nie ganz erreichbarer Horizont markiert und wieder entrückt, indem er schwarz verdeckt und seine Offenbarung negiert erscheint.
In diesem polaren Spannungsfeld entsteht ein Faszinosum: das Geheimnis. Die Künstlerin umreißt Zonen des Schwarz, verdeckt, schafft Geheimnisse und bietet sie an zur Betrachtung. Sie weiß wohl, dass Wesentliches in ihnen verborgen und geborgen ist, dass das umrissene Nichtwahrnehmbare uns erwartungsvoll macht, aber auch zurückweisen kann. Das Nichterkannte hat so gut wie das Erkannte Wirkung und selbst das, was offenbart ist, kann verschlossen bleiben. Kathrin Deusch drückt es folgendermaßen aus:
„Nichterschlossenes wirkt auf das Erschlossene und umgekehrt.“

Schluss

Der berühmte russische Maler Kasimir Malewitsch, dessen „Schwarzes Quadrat“ 1913 in seiner Absolutheit Anlass zu einem bis heute währenden Diskurs ist, spricht bevorzugt von der kosmischen Dimension der Farbe Schwarz, in die er eindringen möchte.
Später erleben auch die Astronauten unseren blauen Planeten im Schwarz kosmischer Dimensionen, in der tiefdunklen Finsternis eines unendlichen, sich stetig ausdehnenden Weltraums. Seine schwarze Weite, aus der wir hervorgegangen sind, könnte als Bild für eine ebenso unfassbare Geistigkeit betrachtet werden von der „Die Schrift“ zu sprechen versucht. Dann verstehen wir die Druckerschwärze der Zeichenschrift und der Schriftzeichen als Metapher und die geheimnisbildende Dunkelheit wird zum Lebenszeichen.