Kathrin Deusch – Chris Popoviƈ „RUHE SANFT“

 

Es geht um spannende Gegensätze und unentdeckte Gemeinsamkeiten zweier Orte, deren Format unabdingbar vom menschlichen Körper bestimmt ist –
– das Rechteck der Bettstätte, auf der wir stundenweise täglich ruhen und
– das Rechteck der Grabstätte, in der wir einmal fur lange Zeit ruhen werden oder unsere Vorfahren schon ruhen.

 

Zur Vernissage der Ausstellung am 15. September 2013,
im Kunstkreis Radbrunnen Breisach

Sehr verehrte Damen und Herrn,

ich begrüsse Sie im Radbrunnen und ich freue mich besonders, dass Sie bereit sind, sich dem Titel dieserAusstellung hier auszusetzen: „RUHE SANFT“.
Es geht aber nicht um „Friedhofsruhe“, das werden sie bei einem Blick auf das hier Gezeigte feststellen oder schon festgestellt haben.

Stattdessen geht es um spannende Gegensätze und unentdeckte Gemeinsamkeiten zweier Orte, deren Format unabdingbar vom menschlichen Körper bestimmt ist –
– das Rechteck der Bettstätte, auf der wir stundenweise täglich ruhen und
– das Rechteck der Grabstätte, in der wir einmal für lange Zeit ruhen werden oder unsere Vorfahren schon ruhen.

Die beiden Künstlerinnen, die hier ihre Arbeiten zeigen, faszinieren Lagerstätten, für die wir Menschen – freiwillig oder unfreiwillig – unseren wichtig gehaltenen aufrechten Gang aufgeben und uns in die Horizontale begeben. Dort beginnen dann Kontrollen des Bewusstseins zu entfallen und der Entfaltung des Irrationalen ist Raum gegeben. Im Übergangsstadium von Wachsein zum Schlaf geht unsere alltägliche Realität in eine geträumte, virtuelle Welt über. Im Übergang vom Leben zum Tod zieht das Leben selbst seine steuernden Kräfte zurück und überlässt uns dem Unbekannten einer anderen Welt.
Solche Übergangszeiten sind ungewöhnlich, weil sie Gegensätze – wie Wachen und Schlaf, Leben und Tod – gleichzeitig in sich haben und dabei Dinge sehen lassen, die wir aufrecht in Alltag und Leben stehend, nicht wahrnehmen würden.
Verschwommen oder scharf umrissen, – wie die Matratzen-Bilder hier – lassen Träume andere Welten wahrnehmen.
Die Sterbephase kann vergangene Bilder und eindrucksvolle Visionen
auslösen.

Grabstätten werden unterschiedlich gesehen: Als Zeichen, dass die Lebenszeit eines Menschen in den Tod übergegangen ist oder dass der Übergang zu einem andere Leben beginnt. Nicht immer lassen sich Leben und Tod genau trennen – und dem stillen Grab werden die Hinterbliebenen ein eigenes Leben einrichten.

Da die Orte, an denen diese bewegte Zeit des Übergangs, der Offenheit gegenüber Vorläufigem und Endgültigem, – letztlich Orte der Verwandlungen sind, können sie „Künstlernaturen“ in besonderem Weise nahe liegen.
Sowohl Chris Popoviƈs Matratzen- und Bettenbilder, wie Kathrin Deuschs Bilder von Gräbern und Grabsteinen bezeugen dies.
Der Philosoph Arthur Schopenhauer nennt ihn „Schlaf, der kleine Bruder des Todes“.
Jeden Abend geben wir uns ihm hin, lassen uns in das Reich des Unwirklichen sinken, – und wachen mit einem Schrei oder einem Lächeln auf.
Doch auf den Matratzen wird nicht nur geträumt. Mit ihren Kissen sind sie der Ort der Zuflucht für Körper und Seele, der Ort von Zeugung und Geburt, von Lust und Leiden, von Krankheit und Tod.

Chris Popoviƈ nennt die Bettstatt den „ursprünglichen Ort von Leben und Tod“. Ihm nähert sie sich mit unterschiedlichen künstlerischen Mitteln.

Die Gemälde:
Wir sehen Darstellungen von Betten. Matratzen – drall und monumental, weich und sich verflüchtigend, meistens kühl leuchtender Farbe. Kissen und Decken – distanziert schimmernd in zartesten Nuancen. Die wärmende Bettstatt bleibt also oft farblich kühl und auch gegenüber einem Rotton verhält sie sich zurückhaltend. All dieses ist gemalt in einer altmeisterlichen Maltechnik, die zarteste, lasierte Schichten von Ölfarbe aufeinander stapelt. Zwischen jedem der zahlreichen Farbaufträge sind angemessene Trocknungszeiten zu berücksichtigen. Der Malprozess braucht ein sensibles Auge und Zeit, viel Zeit um zu der Qualität von Malerei zu führen, die hier zu sehen ist.
Ein letzter Pinselstrich ist nicht selbstverständlich, das kritisch prüfende Auge, eine veränderte Stimmungslage gegenüber dem Sujet des Bildes fordern von der Künstlerin ein Weitermalen, Übermalen, Verbessern selbst nach Jahren noch. Der Herstellungsprozess dieser Gemälde liegt in einem oft anhaltenden Zwischenstadium, einer Übergangszeit, in der Unterschiedliches gleichzeitig wird und die spannende Frage sich aufhält, wie es mit dem Gemälde weitergehen könne. Die Malweise spiegelt in ihrer Art diesen Aspekt des Ortes Bettstatt, an dem wir uns in einer Übergangszeit zwischen Wachen und Schlafen, und – biografisch gesehen – zwischen Leben und Tod befinden.

Bezugsstoffe von Matratzen waren traditionell gemustert mit Streifen oder Blumenmotiven, so haben sie Chris Popoviƈ noch im Elternhaus umgeben. Streifenmuster haben eine klar überschaubare, geometrische Ordnung, Streifen sind zählbar, der Rhythmus der Bündelungen ebenfalls, man ist geborgen im Gleichmaß von Wiederholungen. Auch bei der minutiösen Wiedergabe eines Blumenmusters reizt die Künstlerin die erkennbare Wiederholung, in der das Muster rapportiert wird. Das erfreut das Herz derMathematikerin, die Chris Popoviƈ auch ist!
Doch zu einer starren Ordnung können die Streifen und Rapporte in den Gemälden nicht werden, ihr gemaltes Trägermaterial ist textiler Art, die flexiblen Oberflächen verraten sich in zarten oder voluminösen Faltungen, die die Streifen ins Schwingen bringen. Kantige Matratzenkonturen lässt die Malerin bei manchen Bildern ins Unklare verschwimmen. Das ursprünglich feste Material löst sich auf, lässt andere Daseinsformen ahnen. Diese angedeuteten Übergänge von einem Zustand in einen anderen werden in den Videobildern nachdrücklich verfolgt.

Die Projektionen:
Sie entstanden aus intensiver Zusammenarbeit der Künstlerinnen.
Die Videoprojektionen auf eine Matratze zeigen real Gegenwärtiges – wie großelterliche Schlafstätten, aufgereihte Krankenhausbetten, zweistöckige Spitalkinderbetten, redliche Ehebetten, zerstörte Betten eines Hospitals in einem afrikanischen Kriegsgebiets – und doch umgibt sie eine gewisse Unwirklichkeit.
Die Aufnahmen sind weniger Dokumentation als Gleichnis oder Metapher menschlicher Befindlichkeiten, wie Leiden, Verletzung, Wohlbefinden, Erstarrung. Auswahl und Bearbeitung der Aufnahmen sind Ausdruck einer künstlerischen, subjektiven Schau der Dinge und lassen eine Welt hinter den Dingen ahnen. Weder in den Video-Projektionen, noch in den Gemälden, noch in den Fotos sind Personen zu sehen, mit denen sich der Betrachter identifizieren könnte, er ist frei, sich selbst in das Gezeigte zu begeben. Die Spuren des Gebrauchs an den Gegenständen bezeugen allerdings die vergangene Anwesenheit von Menschen.

Auch ein Grabstätte tut dies – mit anderen Mitteln. Sie gibt denjenigen, die nicht mehr unter den Lebenden anwesend sind, einen Ort. Dieser ist mehr als eine Ruhestätte, er ist ein Ort, an dem Besucher innere Bilder wachrufen, die dem Begrabenen und den Gemeinsamkeiten mit ihm gelten, dem Schmerz des Verlustes.
Das Aussehen einer Grabstätte verrät viel über die Beziehungen der Hinterbliebenen zu Tod und den Toten. Nähe oder Distanz, Sinn für das Praktische oder üppige Dekorfreude, Banalität und Erhabenheit, Sentimentalität und Überfülle – manchmal unbeabsichtigt Heiterkeit erregend.
Ein wissensdurstiger Gang über einen Friedhof eröffnet Interessantes über kulturelle und mentale Hintergründe einer Region und ihrer Bewohner, über Geschichte und Geschichten. Zugleich wird uns bewusst, wie vital der Antrieb ist, unsere Sterblichkeit zu unterlaufen, uns durch Grabkultur unsterblich zu machen im Gedächtnis der Lebenden.

Die Fotos:
Für Kathrin Deusch gibt es zu all diesen noch einen weiteren Grund, warum sie Friedhöfe besucht, wo auch immer sie sich befindet. Ihre Besuche sind Expeditionen zwischen Frankreich, Griechenland und Australien, die alle der Frage nachgehen:
Wie sieht das aus, was die Lebenden mit den Stätten der Toten tun?
Ihr Fotos zeigen, was sie dabei entdeckt. – Dieses „wie sieht das aus?“ verrät den speziellen Blick der Künstlerin, ihren – wie sie das nennt – ihren „subjektiven Sehschlitz“. Er ist gerichtet auf alle Dinge, die auf einem Friedhof, auf einem Grab zu finden sind. Alle Schalen, Vasen, Kannen, Fotorahmen, quietschbunte Spielzeuge, braun verwelkte und künstliche Blumen, Geräte, die zur Grabpflege gebraucht werden – alle arrangieren sich, gehen Verbindungen ein, vibrieren farblich zwischen dezent Abgestimmten und vitaler Buntheit.
Eine ästhetische Beglückung der Künstlerin kann heißen, in den Ansammlungen des Grabzubehörs eine Anordnung vorzufinden, in der die ästhetischen Vollkommenheit des Zufälligen wirkt. Eine zufällige Komposition, ausgewogen und markant, wie sie vielleicht im eigenen Bemühen nicht gefunden worden wäre, aber der Zufall sie geschehen ließ. Eine andere Freude bringen Grabstätten, deren Beiwerk Authentizität des Ausdrucks von Trauer und Beziehung erkennen lässt. Eine solche Sprache bedarf erfinderischer Einfälle und steht künstlerischer Ausdruckssuche nahe. Angezogen wird Kathrin Deusch auch von den verlassenen Gräbern, die den ästhetischen Reiz des Zerfallenden bieten, Morbidität als nostalgischer Hauch oder als knallharte Konfrontation mit Zerstörung. Tonschalen, Blumen, Bänder, Steintafeln gezeichnet von einer Übergangszeit in der ihre Funktion nur noch das Zerfallen zu Staub ist.

Es sind nicht Trauer und Mitgefühl, die die Expeditionen von Kathrin Deusch antreiben, – diese ihr selbstverständliche Solidarität hat einen anderen Platz – es ist eine visuelle Wissbegier nach dem Aussehen der Dinge, die sich im Umgang der Hinterbliebenen mit dem Verstorbenen ansammeln, ein mildes Staunen über das, wozu Menschen angetrieben sind um ihren Gefühlen Ausdruck zu geben, Moden zu entsprechen, Zugehörigkeiten zu kennzeichnen, Dinge schön zu machen und sauber zu halten.
Ihre visuellen Eindrücke fotografiert Kathrin Deusch und gestaltet sie unter künstlerischen Kriterien digital weiter, wie Ausschnitt, Komposition, eventuelle, vorsichtige Farbveränderungen. Anschließend werden die Bilder durch ein Fotofachlabor auf große Trägerplatten aufgezogen.
Die hier gezeigten Fotos sind erkennbar einem formalen Eingriff unterzogen, der ihnen Gemeinsamkeit gibt. Die Inhalte der Motive wurden horizontal ausgerichtet, unterstützt durch das Panoramaformat, und für die Anschlüsse der Fotos in einer Reihe wurde jeweils eine kompositorische Ordnung erarbeitet. Die rhythmische Reihung der Bilder, oft unmittelbar auf dem Boden, legt den Eindruck einer Grabreihe nahe, entlang der Wand des Ausstellungsraums.
Das Spiel mit diesem Raum, mit der Architektur des Radbrunnens, ist ohnehin Konzept. Die mehrstöckige Turmform dieses Ausstellungsortes wurde von den Künstlerinnen mit Überlegung gewählt, sie entsprach ihren Intensionen, Zeitphasen des Lebens, Zwischenzeiten und Gleichzeitigkeiten begehbar erfahren zu lassen, dabei mit Nischen und Fenstern zu interagieren

und vor allem mit Ihnen,
sehr geehrte Besucherinnen und Besucher,
die Sie nun zu Bild-Expeditionen in diesem ungewöhnlichen Ausstellungsort
entlassen sind.
Ich danke Ihnen!